In loser Reihenfolge wird es hier Buchkritiken von Büchern geben, die ich im “gelesen” Ordner im Kindle habe, heute:
Kriegsenkel von Bode
Das Thema Oral history hat in den letzen Jahren massiv Aufschwung (zumindest bei mir gefühlt) erlebt, nicht nur durch eher populäre Formate wie von Guido Knopp, sondern auch durch die Alltagsforschung. Sicher auch, weil die Generation, die erzählen kann, langsam aber sicher ausstirbt, aber auch, da das Interesse der derzeit 30-40 Jährigen an der Geschichte der Großeltern/Eltern (so nehme ich das im Freundeskreis wahr) zunimmt. Gerade dass man die “Mama erzähl mal” Bücher inzwischen im Butlers findet, zeigt die Durchdringung des Themas in der Mitte der Gesellschaft an.
Für mich gibt es da zwei Facetten – die eine die Oral history von Betroffenen des Holocausts/KZ-Lagern im speziellen – als memento mori. Als ich noch Chemie studierte, organisierte die Fachschaft Chemie einen Vortrag eines Holocaust-Überlebenden, der unter anderem für die IG Farben (daher der Anstoss) im KZ arbeiten musste, aber auch in Dora Mittelbau war. Ich hatte mich schon immer für Geschichte interessiert, aber die Geschichte auch mal aus erster Hand zu hören ist dann doch etwas anderes, als das in der Fachliteratur abstrakt zu lesen. Der Audimax war damals auch so voll, dass wir ein Audiostreaming in einen anderen Saal aufbauten, damit alle zuhören konnten.
Etwas anderes ist es dann mit der Familiengeschichte, der zweite “boomende” Part, um den sich auch das Buch Kriegsenkel dreht. Es gibt wohl in jeder Familie Verhaltensweisen innerhalb des Familienverbundes, der einem schon immer komisch vorkam oder ggfs. auch störte – sei des der Umgang mit Essen, Ängste, Sicherheitsbedürftnisse, die extrem ausgeprägt sind oder auch anderes. Die Idee, dass das mit den Erfahrungen der eigenen Eltern aus den Kriegs/Nachkriegsjahren zu tun hatte, hatte ich schon vor einer Weile (ist ja auch naheliegend). Gerade die hohe Wertschätzung von Essen ist leicht aus den Mangeljahren zu erklären, die enge Fokusierung auf die Familie (im Buch heisst das “die Familie als Burg” ebenso durch Flucht und Verteibung, verbunden mit der Familie als Bezugspunkt, auf den man sich verlassen muss und der einem durch die Krise hilft.
Das da aber noch viel mehr an unausgesprochenen Faktoren vorhanden sein muss, ist mir erst in den letzen Monaten aufgefallen – als wir eben die “… erzähl mal” Bücher bei den Eltern verteilten. Vordergründig war da eine leicht verhaltene Bereitschaft vorhanden, sich mitzuteilen (immer verbunden mit “ich hab doch nichts zu erzählen”), sobald es dann aber konkret wurde, wurde auch sichtbar, wie dünn der Lack wirklich ist und dass da viel mehr unter der Oberfläche sein muss als je kommuniziert wurde. Von “was in … passiert ist, darüber möchte ich nie reden” bis hin zu “das darf nie jemand erfahren” (ohne auch nur spezifisch zu werden, was genau das ist). Eben diese Erfahrungen sind es aber, die die Erziehung sowohl der Kinder bzw – je nach Generation – auch der Enkelkinder massgeblich prägt(e).
An diesem Punkt setzt auch Sabine Bode mit Ihrem Buch auf. Sie hat mit Kriegsenkeln (geboren in den 60/70ern) Gespräche geführt, um die Hintergründe zu erkennen. So kann man aus den einzelnen Fällen ganz gut erkennen, welchen Einfluß Flucht, Vergewaltigung, Vertreibung oder auch eine NS Vergangenheit auch noch nach 30-40 Jahren auf die Kinder, die dann erst geboren wurden, hatte oder haben kann. Besonders spannend fand ich es, Analogien zum Verhalten unserer beiden Familien zu ziehen und zu erkennen, wie und welche Faktoren auch eine Rolle spielten und zu dem Verhalten führ(t)en, welches bei den eigenen Eltern immer nervt(e) – und damit auch zum besseren Verständniss der Situation führt. Für ich ist es generell – in meiner privilegierten Situation – nur sehr schwer vorstellbar, wie hart die Zeit gerade für Kinder gewesen sein muss – mit Hunger und Existenznot, mit der Gefahr für Leib und Leben. Unter diesem Aspekt fand ich das Buch sehr wertvoll und spannend und wichtig, dass die Forschung sich auch anfängt, dieses Thema zu erschliessen. ich habe das Kriegskinder (in der es um die Generation meiner Eltern, nicht um meine geht) schon auf dem Kindle, um es bald zu lesen.
Einen Kritikpunkt habe ich allerdings: Das Buch ist mir zu fokusiert auf die reine Beschreibung der einzelnen Lebensgeschichten und Hintergründe – ich hätte hier gerne mehr “hard science” gehabt – ggfs. in einem zweiten Teil, Was mir fehlt ist eine tiefere Analyse und wissenschaftliche Betrachtung von Ursache und Wirkung, nicht beruhend auf ein Sample von 10-20 Interviewten sondern mit einer statistisch aussagekräftigen Menge und mit einem wissenschaftlicheren Herangehensweise an das Thema – aber da schlägt wohl der Naturwissenschaftler in mit durch. Wie schon geschrieben – es ist gut, dass das Thema jetzt Sichtbarkeit gewinnt und dass man anfängt, sich mit dem Komplex zu beschäftigen – vielleicht ist das ja nur der Start in die von mir erhoffte Analyse.
Fazit: wenn man in dem Alter 30-45 ist, ist das Buch auf jedenfall lesenswert! Wenn man 15-20 Jahre alt ist, dann auch wieder, einfach um zu erkennen, warum die doofen Eltern denn jetzt so reagieren wie sie es tun – denn es ist meist ja auch nur ein “ererbtes” Verhalten aus eben dieser Kriegs/Nachkriegszeit – auch wenn das schon sehr lange her ist!
Über “Kriegskinder” gibt es dann ggfs einen eigenen Blogeintrag.