Vor einer Weile fragte uns ein Freund, ob wir mit ihm zu Supernerds gehen würden. Das sagte mir zwar vorab nichts, aber ein kurzer Blick auf die Webseite verhiess spannendes:
“Wie fühlt es sich an, bespitzelt zu werden? Eigentlich müssten wir alle eine Antwort auf diese Frage haben. Denn Regierungen, Geheimdienste oder Konzerne speichern unsere Daten, überwachen die Kommunikation und analysieren Bewegungen. Jeden Tag.
Whistleblower und Aktivisten wie Edward Snowden oder Julian Assange haben uns das mehr als deutlich gemacht – aber werden verfolgt, verhaftet, unter Generalverdacht gestellt oder ins Exil gezwungen.
Diesen SUPERNERDS widmen das Schauspiel Köln, die gebrueder beetz filmproduktion und der WDR einen interaktiven Überwachungsabend, der Theater, Fernsehen, Radio und Internet verbindet. Live. Am 28. Mai 2015.“
Am 28.5 konnten wir leider nicht gehen, daher haben wir dann Karten für gestern (3.6) besorgt. Es gab beim Kartenkauf noch den Hinweis auf eine zwingend erforderliche Akkreditierung, haben wir dann gleich mitgemacht.
Die Daten waren für das Schauspiel notwendig, um eine Simulation der Überwachung zu erzeugen, es wurden (Fake) SMS von Julian Assange und anderen versendet, Telefonanrufe/gespräche (bzw Stimmen vom Band) sollten den Eindruck erwecken, dass man an der Kommunikation anderer teilhaben könnte, ebenso mit weitergeleiteten Mails. Das war nett gemacht, aber dann doch zu (ggfs für IT-Spezialisten) zu durchsichtig. Wobei das anscheinend nicht für alle so offensichtliche Fakes waren, denn das Schauspiel sah sich genötigt, eine Mail zu senden, in der Bedenken bzgl Auswirkungen (zb bei Flügen in die USA) oder ob der Datensicherheit zu zerstreuen.
Allerdings muss ich zugeben, dass sie mich auch einmal erwischten – in einer Mail, in der es um eine Konversation um Daten anderer Teilnehmer ging – mit einem Link auf ein Blog, welcher eine UID hatte. Die ich allerdings nicht gesehen hatte, da ich das auf dem iPhone aufrief und das dann dazu führte, dass ich die Supernerds auf Twitter anging, da ich Bedenken hatte, dass die Daten durch einen Scraper einfach zu parsen seien. Das hat sich dann etwas zerstreut, als ich mir das näher ansah, aber trotzdem könnte es möglich sein, hiermit die Daten anderer Teilnehmer zu offenbaren, wenn kein Limit für das Aufrufen der Webseite besteht und ich einfach die Uids hochzähle und die Webseiten automatisch nach den Daten durchgehe.
Nach der Premiere las ich dann natürlich auch die Berichterstattung auf Twitter und in Blogs/Zeitungen und war danach endgültig zwiegespalten, was meine Erwartungshaltung anging. Die FAZ war ja relativ positiv, Thomas Knwüer hingegen schrieb eine ernüchternde Kritik.
Am Vorstellungstag selbst gab es noch eine kleine Komplikation – mein Zug aus Paris hatte 30 Minuten Verspätung, so dass ich leider eben diese 30 Minuten zu spät kam und daher den Anfang verpasste. Die Ironie war nun, dass die Supernerds eine Scheinüberwachungs-SMS versendeten (du willst in DER Kleidung kommen, echt?) – was bei mir voll zutraf, denn ich war noch im Businesskasper-outfit 😉
Im Theater angekommen konnte ich auch verspätet in die Vorstellung und kam noch rechtzeitig zur Abstimmung, ob die Zuschauer ihre persönlichen Daten für mehr Sicherheit eintauschen würden. Ich fand die 12% “ja” Antworten noch erstaunlich hoch, ich hätte erwartet, dass die Zuschauer, die das Theaterstück ansehen, eigentlich aware genug sein sollten – erfuhr dann aber nach der Aufführung, dass auch Abo-Zuschauer dabei waren.
Das mit dem “aware” ist auch mein genereller Kritikpunkt an dem Stück – ähnlich wie Thomas Knüwer. Meine Erwartungshaltung wäre gewesen, dass die Zuschauer das gezeigte schon kennen – und dann ist der Informations/Detaillevel eigentlich “Eulen nach Athen” zu tragen, preaching to the converted. Ggfs. sind aber auch die Zuschauer am TV wichtiger, die “breite Masse”, die immer noch bereit ist, sich mehr und mehr überwachen zu lassen für ein diffuses Gefühl der Sicherheit – oder der Hilflosigkeit und Ahnung, sowieso nichts ändern zu können. Der Technikblock mit Gutjahr, bei dem es um ein “gehacktes” Telefon geht war mir zu sehr FUD – Angstmache. Es fehlte die klare Aussage, dass das derzeit nicht so einfach zu machen ist (man braucht das Telefon, ggfs Rootrechte, eher bei Android als bei Apple). Aber vielleicht sind wir hier wieder nicht die Zielgruppe, sondern der Normalverbraucher am TV? Wenn ich mir so ansehe/mich erinnere, was am letzten Chaos Computer Congress so alles präsentiert wurde (inkl dem vollen Tracking aller Telefone), dann war das leider nur ein Detail im grossen Ganzen – ohne Differenzierung über die verschiedenen Möglichleiten der einzelnen Akteure – von dem eifersüchtigen Ehepartner/den “besorgten” Eltern, die das Telefon zu Trackern umbauen bis hin zu Geheimdiensten, die ganz andere Möglichkeiten haben. Das wurde mir zu sehr vermengt – das Merkelphone wird sicher nicht über eine lokal installierte App abgehört sondern über das Netz – sei es beim Provider oder mit Angriffen auf GSM.
Daher hinterlies mich das Ganze bei mir nach Schluss mit einem etwas ratlosen Fazit zurück. Ohne zu elitär klingen zu wollen – das meiste sollte bekannt gewesen sein – von Chelsea Manning, Snowden, Assange bis hin zu Anonymous. Aber vielleicht/wahrscheinlich bewege ich mich auch in einer extremen Filterblase – beruflich bedingt aber auch privat- und das ganze ist wirklich noch so unbekannt und braucht das Theaterstück für eine breitere Awarness.
Wahrscheinlich muss man dann auch vereinfachen, das ganze auf die persönliche Betroffenheit fokusieren und mit einigen Showeffekten hantieren, da sonst die Generation Treuepunkte bzw die ihre auf facebook stalkende und Freiheitsgrade beschränkende Elterngeneration nicht zu erreichen ist, denn was haben wir denn schon gross zu verbergen (rethorische Frage, folgt dem Link).
Wer siche etwas mit dem Thema beschäftigen will, sollte sich aber eher Citizenfour ansehen, ein paar grundlegende Talks vom Chaos Computer Congress ansehen oder auch das Buch über Snowden lesen. Dann noch das Buch über technologischen Totalitarismus und ihr habt einen guten Überblick über die Debatten. Wenn ihr schon dabei seit, dann schaut auch noch schnell nach, was der Chilling-Effekt ist, denn das ist leider die Auswirkung der ganzen Überwachung auf jeden einzelnen von uns – ob wir das wollen oder nicht.
Ach ja, die 3d Projektion von Julian Assange war super gemacht!